Ralf König

Interview by
Adriano Sack
Drawing by
Ralf König

DER DEUTSCHE COMICZEICHNER RALF KÖNIG HAT GAR KEIN PROBLEM DAMIT AKTIV ZU SEIN

Drei Stunden zu spät komme ich in Ralf Königs Dachwohnung im sogenannten Belgischen Viertel in Köln an. Atemlos, weil ich Verspätungen hasse und nervös, weil mich seine Geschichten begleitet haben, seit ich schwul bin. Oder vielleicht sogar noch länger. Der Mann tut angemessen überrascht, dass ich mir den weiten Weg gemacht habe und serviert Ananas-Mango-Saft aus sehr großen Gläsern. Ralf König ist so bescheiden, wie man es als Weltstar des Schwulencomics nur sein kann.

Adriano: Du warst gerade auf einer Comicmesse in Barcelona? Was machtest Du da?
Ralf: Ich hatte vier Tage Vollprogramm dort: Signierstunden, Interviews, Podiumsgespräche. Das ist anstrengend, aber ich war auch gerührt über die langen Schlangen am Signiertisch.
Wollen Deine Fans auch Sex?
Wenn’s so wäre, kriegte ich das wohl in der Situation am Signiertisch nicht mit. Ich bekam schon mal Telefonnummern zugesteckt oder Einladungen auf Sexparties. Ist aber schon ein paar Jahre her.
Wer brachte Dich zum Zeichnen: Wilhelm Busch oder Donald Duck?
Busch! Ich hab noch nicht lesen können, da war ich schon fasziniert von ‚Fips, der Affe‛ und ‚Die fromme Helene‛. Donalds Schnabel war schwierig zu zeichnen, das konnte mein älterer Cousin besser, aber das weckte meinen Ehrgeiz. Später dann Crumb mit ‚Fritz the Cat‛. Wow, es gab Comics für Erwachsene! Bekiffte Miezen vögelten in der Badewanne, ich war begeistert!
Wann kam Batman dazu?
Mit Superhelden hatte ich’s nie. Nicht mal in Lack und Leder.
Hattest Du eine glückliche Kindheit in Westönnen/Westfalen?
Ja, schon. Ich denke, es war von Vorteil, in einer ländlichen Umgebung aufzuwachsen, mit Tieren und Natur. Ich konnte Kühe melken, mit der Hand! Wer weiss, wozu der Griff später gut war.
Woher und wann wusstest Du, dass Du schwul warst?
Ich war verknallt in Little Joe von Bonanza, da kannte ich das Wort schwul noch gar nicht.
Gab es Jungs, in die Du heimlich oder unheimlich verliebt warst? Hast Du einen davon rumgekriegt?
Ich war ständig verliebt oder geil auf meine Mitschüler, besonders die etwas älteren. Mit den Heteropornos, die ich mit elf im Schrank meines Vaters entdeckte, hab ich auch einige dazu gekriegt, die Hosen aufzuknöpfen.
Welcher Porno Deines Vaters hat nachhaltigen Eindruck auf Dich gemacht?
Das waren noch diese kurzen Super-8 Filmchen aus Dänemark. Der Filmprojektor ratterte laut und ich war immer mit einem Ohr an der Tür, um zu hören, ob meine Eltern vom Einkaufen zurückkamen.  Da gabs John Holmes, den Mann mit dem größten Schwanz der Welt, aber es gab auch einige Skandinavier, die ich geil fand in den Filmen. Die Kerle hatten ja noch Zahnlücken oder Schnauzbärte und Koteletten.
Hattest Du eine Phase, in der Du nicht schwul sein wolltest?
Naja, ganz zu Anfang waren da massive Ängste, ich rede von den 70er Jahren, es war krank, gesellschaftlicher Rand, Tabu! Aber später hatte ich nur Vorteile durch mein Coming Out.
Wie oft bist Du als Junge verprügelt worden, weil Du anders warst?
Nie. Ich war beliebter Klassenwitzbold.
Sind Deine Eltern so provinziell und kleinbürgerlich wie praktisch alle Eltern in Deinen Geschichten?
Ja, ein bisschen ist das so. Meine Mutter ist aber eher depressiv und nicht so plappernd wie die in meinen Büchern, dagegen ist mein Vater eher laut und nervtötend. Als ich schwule Comics zeichnete, jammerte meine Mutter: ‚Mal doch lieber so was wie Asterix!‛
Wer hat entschieden, dass Du eine Tischlerlehre machtest?
Mein Vater. Holz hat Zukunft! Für mich waren es fünf harte Jahre, ich hatte immer Angst, mir an den Kreissägen die Finger abzusägen und nicht mehr zeichnen zu können.
Wie waren die anderen Lehrlinge?
Einer war sehr geil, aber hetero. Ich musste erst 19 werden, um geile schwule Männer kennen zu lernen.
Wie kamst Du von dort an die Kunstakademie in Düsseldorf?
Joseph Beuys war damals noch dort, und der sagte, man brauche kein Abi, um Kunst zu studieren. Ich fiel bei den Professoren auf mit den Comics und wurde genommen. Allerdings wollten sie mir die Comics dann verbieten. In Deutschland waren Comics generell Kinderkram, das Medium wird auch heute noch oft belächelt. Ich war da falsch, aber ich hatte fünf Jahre Zeit, meine ersten Zeichenversuche zu machen und dann die ersten Alben zu veröffentlichen, in einem schwulen Kleinverlag in Berlin.
Gab es männliche Aktmodelle, mit denen Du in den Pausen Toilettensex hattest?
Mein Aktmodel war weiblich… Aber es gab Paul, meinen Mitstudenten. Der ließ sich hin und wieder einen blasen, wenn auch nur katholisch verklemmt unter der Bettdecke. Dabei fällt mir auf, man bläst heute gar nicht mehr verklemmt unter der Bettdecke, schade.
War für Dich immer klar, dass Dein Thema als Zeichner das Leben von Schwulen sein sollten?
Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich war schwul, also waren es die Comics auch. Und es war damals ein Tabubruch, es gab ja nur doofe Schwulenwitze.
Verstehst Du Dich als Zeichner oder als Autor?
Eher als Autor. Die Zeichnungen dienen mir eher, die Geschichte zu erzählen, da bin ich nicht sehr anspruchsvoll.
Mein Gefühl ist, dass Du als Erzähler immer wieder neue Formate gesucht hast: das Epische, die Historientravestie etc. Aber dass Du Deinem Zeichenstil eigentlich immer relativ treu geblieben bist. Wieso?
Weil ich ein fauler Zeichner bin. Ich hab diese Knollennasen drauf und kann mit ihnen fast alles erzählen. Ich hab damals sogar Figuren an Aids erkranken und sterben lassen, und die Leser waren berührt. Die Zeichnungen sind ok, aber mein Ehrgeiz liegt in den Dialogen und Geschichten, wenn das fluppt, ist alles gut.
Deine Bücher wurden angeblich insgesamt 7 Millionen Mal verkauft. Wann dachtest Du: Ich bin reich?
Reich war ich nie, aber in den Neunzigern verkauften sich die Bücher sehr gut, ich hatte plötzlich was auf dem Konto.
Was hast Du dir von Deinem ersten, fetten Tantiemen-Scheck gekauft?
Nichts. Ich wusste erst gar nicht, was ich mit damit anfangen sollte.
Wo ist das Geld geblieben?
Tja. Ich hatte eine sehr leidenschaftliche Sexbeziehung zu einem kleinen, behaarten Brasilianer, sehr stressig, sehr geil, sehr teuer. Wir waren sechs Jahre mehr oder weniger zusammen, haben uns gestritten und wieder vertragen, aber immer auf Städtereisen, Barcelona, Rio, New Orleans, London, Rom… das war große Oper und Leidenschaft und ich war furchtbar verknallt und scharf auf ihn. Unvernünftig, aber was soll’s, ich bereue die Zeit nicht wirklich.
Würdest Du gern nicht mehr arbeiten müssen?
Ich würde immer arbeiten wollen, aber der Zeitdruck stresst oft sehr. So ein Buch braucht so lange, wie es nun mal braucht, ich hasse Abgabetermine. Davon wäre ich gern durch finanzielle Polsterung befreit.
Was würdest Du dann machen? Kiffen und Pornos schauen?
Ok, das sind zwar meine beiden Laster, aber  ich glaube nicht, dass ich verwahrlose. Wie gesagt, ich habe immer Storys im Kopf, die ich zeichnen will.
Sind Schwulenpornos in den letzten Jahren auch immer extremer und brutaler geworden wie Heteropornos?
Ich steh auf Heteropornos. Wahrscheinlich frühpubertäre Prägung durch die Super 8 Filme meines Vaters, keine Ahnung. Dass da Mösen zu sehen sind, hat mich nie gestört. Schwulenpornos sind oft bemüht und zu ästhetisch, aber womöglich kenne ich die richtigen nicht. Allerdings kenne ich sehr viele Schwule, die wie ich auf Heteroporno stehen. Ist das politisch unkorrekt?
Ich glaube nicht. Und wenn schon. Welche Pornos gefallen Dir aktuell sehr gut?
Ich hab so meine Helden, die heißen Gabor, Manuel oder Titus. Früher Roberto Malone und Rocco Siffredi. Auch Ami-Pornos, dieser James Deen hat’s drauf. Klar extrem, aber wenn ich Pornos gucke, will ich keinen Blümchensex sehen.
Wenn ich nüchtern bin, werde ich bei Pornos ja immer sehr schnell gelangweilt. Wie lange dauert bei Dir ein gemütlicher Pornoabend? Bist Du ein Porno-Zapper oder bleibst Du bei der Sache?
Naja, ein Joint macht das ganze rund. Ich hab noch die guten, alten DVDs, und das kann Stunden dauern. Ehrlich, ich würde auf Pornos nicht verzichten wollen, ich hatte damit immer großen Genuss und sehe das auch nicht als Ersatzbefriedigung. Es ist was Eigenes.
Glaubst Du, dass Pornografie Deine sexuellen Wünsche geprägt hat und ist das gut oder schlecht?
Ja, klar, man sieht was und hat Lust es mal auszuprobieren. Ob gut oder schlecht, in meinem Fall war’s gut. Ich finde, Sex ist das Grösste im Leben. Da hilft es womöglich, schwul zu sein, man findet schnell Partner für alles mögliche. Da sind Heteromänner nicht so schnell erfolgreich oder nur gegen Geld.
Du wirst dieses Jahr 53. Laut Deinen Comics bist Du damit, je nach Story, einige Jahrzehnte jenseits des Verfallsdatums für einen Schwulen. Empfindest Du das so?
Ich bin knietief in der Midlifekrise! Und die meiner Charaktere hab ich auch noch am Hals!
Was genau nervt Dich am Älterwerden?
Dass man in den Spiegel guckt und das Gesicht des 30- oder 40-jährigen sucht. Weniger Energie haben für dies und das. Das Gefühl, mit den Neuerungen der Welt nicht mitzuhalten, dieser ganze Technikscheiss.
Macht ein jüngerer Partner älter oder jünger?
Mein Freund ist zwölf Jahre jünger, das macht sich durchaus bemerkbar. Er mag andere Musik und tippelt dauernd in seinem I-Phone rum.
Habt Ihr noch Sex?
Er ist viel öfter geil als ich. Klar, er ist 40!
Wohnt Ihr zusammen?
Nein. Ich brauche es, auch mal die Tür hinter mir zu zumachen und allein zu sein. Jeder hat seine Wohnung, dadurch klebt man nicht zu sehr aneinander und freut sich aufs Wiedersehen.
Glaubst Du an langfristige Beziehungen?
Meine erste Beziehung dauerte 11 Jahre, mit Olaf bin ich seit 3 Jahren zusammen. Wichtig ist, dass es keine Eifersucht gibt oder allzu große Leidenschaft im Sinne von Verlustängsten und Treueschwüren. Jeder muss für sich atmen können und nicht vom Partner erwarten, dass er alle Bedürfnisse abdeckt. Der Alltag muss weitgehend problemlos funktionieren, dann klappt das.
Steht noch immer die Poppersflasche neben dem Bett? Oder ist es heute Viagra?
Vor Poppers hab ich Respekt, das bläst einem ja für einige Momente das Hirn weg. Und wenn man im Rausch abspritzt, erinnert man sich Sekunden später nicht mehr daran, das fand ich immer unbefriedigend. Viagra ist geil, wenn das Ding ohnehin stramm steht! Mal sehen, wie’s wird, wenn man’s irgendwann wirklich nötig hat. Daran will ich gar nicht denken.
Deinen Büchern zufolge ist JEDER Schwule im Herzen passiv. Wie habt Ihr das Problem gelöst?
Jeder Schwule sollte pflichtgemäß regelmässig auch aktiv sein, sonst gibt’s Bottomüberschuss! Ehrlich, ich bin gern aktiv, schon weil ich keinen langweiligen Sex will! Ist vielleicht ein regionales Problem, aber ich sehe hier wirklich fast nur passive Männer, und wer was anderes behauptet, lügt. Wirkliche Tops sind extrem seltene Tiere und heiß begehrt. Ich nenne das in den Comics immer die ‚Homohölle‛. Dieser Brasilianer damals, der war grunzgeil, aber da hat’s mich auch gleich umgeschmissen. Und nicht nur mich. Den fiepten alle an.

Translation by Jeff Krell. Read this interview in English in the new mini-issue of BUTT which just so happens to be on sale in the BUTT shop.

Published on 26 June 2013